Straßenhunde in Bhutan – Einblicke in eine besondere Beziehung zwischen Mensch und Tier
Die Himalaya-Monarchie Bhutan ist bekannt für ihre atemberaubende Natur, das Bruttonationalglück und eine tief verwurzelte buddhistische Lebensphilosophie. Doch hinter dieser Fassade steckt auch ein Problem, das in vielen Teilen Asiens bekannt ist: eine hohe Zahl von Straßenhunden. Anders als in vielen anderen Ländern geht Bhutan allerdings einen bemerkenswert anderen Weg im Umgang mit diesen Tieren. In diesem Artikel erfährst du, wie die aktuelle Situation in Bhutan aussieht, welche Strategien das Land verfolgt, ob es Tierheime gibt und wie überfordert das Tierschutzsystem wirklich ist.
Die Situation der Straßenhunde in Bhutan – Zahlen und Alltag
In Bhutan leben nach offiziellen Schätzungen über 100.000 Straßenhunde, die sich insbesondere in den urbanen Zentren wie Thimphu, Phuentsholing und Paro konzentrieren. Schon bei einem Spaziergang durch die Hauptstadt Thimphu fällt auf, dass an fast jeder Straßenecke Hunde liegen – sie schlafen tagsüber friedlich, oft in Gruppen, und scheinen sich an das Leben unter Menschen gut angepasst zu haben. Viele dieser Hunde sind nicht aggressiv und wirken erstaunlich gesund, was in starkem Kontrast zu Straßenhunden in anderen Ländern steht.
Doch dieser Zustand hat auch seine Schattenseiten: nächtliches Bellen, Streitereien zwischen Rudeln, gelegentliche Bissvorfälle und Übertragungsrisiken von Krankheiten wie Tollwut sind reale Probleme. Bhutan stand also vor einer großen Herausforderung – aber statt Massentötungen zu organisieren, wie es in einigen anderen Ländern leider üblich ist, entschied sich das Königreich für einen anderen, tierfreundlicheren Weg.
Die Philosophie Bhutans: Respekt vor jedem Lebewesen
Bhutan ist ein tief buddhistisch geprägtes Land. Der Buddhismus lehrt Mitgefühl mit allen fühlenden Wesen, und dazu zählen natürlich auch Hunde. Töten – selbst aus pragmatischen Gründen – ist mit den religiösen Überzeugungen vieler Bhutaner nicht vereinbar. Diese Haltung prägt auch den Umgang mit Straßenhunden: Sie werden nicht als Plage gesehen, sondern als Mitgeschöpfe, die ebenfalls ein Recht auf Leben haben.
Diese Philosophie zeigt sich in der Politik und in den Programmen, die die Regierung gemeinsam mit internationalen und lokalen Organisationen ins Leben gerufen hat. Statt die Hunde zu entfernen, setzt man in Bhutan auf langfristige, nachhaltige Lösungen.
National Dog Population Management and Rabies Control Project (NDPMRCP)
Ein zentrales Projekt im Umgang mit Straßenhunden ist das sogenannte National Dog Population Management and Rabies Control Project (NDPMRCP), das im Jahr 2009 ins Leben gerufen wurde. Dieses Programm basiert auf drei Hauptsäulen:
- Kastration und Sterilisation (Catch-Neuter-Vaccinate-Release – CNVR)
- Impfung gegen Tollwut
- Sensibilisierung der Bevölkerung
Im Rahmen des CNVR-Programms werden Straßenhunde eingefangen, kastriert bzw. sterilisiert, geimpft, markiert (meist durch einen kleinen Schnitt am Ohr) und anschließend wieder in ihrem angestammten Gebiet freigelassen. So bleibt das soziale Gefüge der Rudel erhalten, und es kommt zu keinen Revierkämpfen mit neuen, unkastrierten Hunden.
Bis heute wurden Hunderttausende Tiere auf diese Weise behandelt – mit beachtlichem Erfolg: Die Zahl der Bissvorfälle ist zurückgegangen, und Bhutan ist eines der wenigen Länder in Südasien, das seit 2017 offiziell tollwutfrei im Hundebestand ist.
Gibt es Tierheime in Bhutan?
Im klassischen Sinne gibt es in Bhutan nur sehr wenige Tierheime, wie man sie aus Europa oder Nordamerika kennt. Das liegt vor allem daran, dass das CNVR-Programm darauf ausgelegt ist, die Tiere nicht dauerhaft zu internieren, sondern sie nach Behandlung wieder freizulassen.
Es gibt jedoch einige Initiativen und kleinere Tierauffangstationen, die sich um kranke, verletzte oder nicht freilebensfähige Hunde kümmern. Eine der bekanntesten Einrichtungen ist das Royal Society for the Protection and Care of Animals (RSPCA Bhutan), das gemeinsam mit der Regierung und internationalen Partnern wie der Humane Society International (HSI) arbeitet. Auch das Jangsa Animal Saving Trust in Thimphu engagiert sich stark im Tierschutz und betreibt kleinere Einrichtungen für besonders hilfsbedürftige Tiere.
Die wenigen bestehenden Einrichtungen sind zwar regelmäßig an der Kapazitätsgrenze, aber nicht im klassischen Sinne überfüllt – denn sie nehmen nur die Hunde auf, die nicht wieder auf die Straße zurückgeführt werden können. Das System ist also eher als selektive Notfallversorgung zu verstehen und nicht als Massentierhaltung.
Probleme und Herausforderungen
Trotz der beeindruckenden Fortschritte steht Bhutan weiterhin vor einigen Herausforderungen:
- Wachstum der Hundepopulation in Grenzregionen: Insbesondere in der Nähe zu Indien kommt es durch Wanderbewegungen zu Nachschub an unkastrierten Tieren.
- Mangel an tierärztlichem Personal: Es gibt zu wenige gut ausgebildete Tierärzte, was die Durchführung der CNVR-Programme in entlegenen Gebieten erschwert.
- Finanzierung: Die Programme sind teuer und stark auf internationale Unterstützung angewiesen.
- Wissenslücken in der Bevölkerung: Nicht jeder Bhutaner weiß über den richtigen Umgang mit Hunden Bescheid. Obwohl der Respekt da ist, fehlt manchmal das Wissen über Fütterung, Gesundheitsfürsorge oder erste Hilfe bei Verletzungen.
Was können wir von Bhutan lernen?
Bhutans Ansatz ist nicht perfekt, aber in vielerlei Hinsicht vorbildlich. Während in anderen Ländern Hunde eingefangen, eingesperrt oder getötet werden, zeigt Bhutan, dass es auch anders geht – mit Geduld, Respekt und Langfristigkeit.
Das Land beweist, dass auch ohne flächendeckende Tierheime eine Kontrolle der Straßenhundpopulation möglich ist – wenn man das soziale Gefüge der Tiere respektiert und in Gesundheit und Prävention investiert. Das Prinzip „fangen, kastrieren, impfen, freilassen“ ist nicht nur human, sondern auch effektiv – es erfordert jedoch ein hohes Maß an Organisation und Willen zur Zusammenarbeit.
Die Situation der Straßenhunde in Bhutan ist komplex, aber auch inspirierend. Durch ein durchdachtes, mitfühlendes und nachhaltiges Konzept hat das kleine Himalaya-Königreich einen gangbaren Weg gefunden, um mit seinen tierischen Mitbewohnern in Einklang zu leben – ganz im Sinne seiner Philosophie vom Glück und dem Respekt vor allem Leben.
Auch wenn nicht alles perfekt läuft, zeigt das bhutanische Modell, wie Tierschutz und öffentliche Gesundheit Hand in Hand gehen können – ohne Tierleid, ohne Massentötungen, dafür mit Herz und Verstand.
Was denkst du über den Umgang Bhutans mit Straßenhunden?
Würde so ein Modell auch in Deutschland oder anderen Ländern funktionieren? Schreib deine Meinung gern in die Kommentare!